Dissertationsprojekt Madana Treiber

AG Didaktik der Mathematik (Sekundarstufen)

Auswirkungen von diagnostischer Kompetenz auf die prozessuale Unterrichtsqualität am Beispiel der Motivierung

Die Motivation von Schülerinnen und Schülern im Unterricht ist von großer Bedeutung für den Lernprozess und die Lernentwicklung (Deci & Ryan, 1993; Schiefele & Streblow, 2006; Spinath, 2005) und wird in der Literatur als Prädiktor für die Schulleistung beschrieben (Steinmayr & Spinath, 2007). Umso mehr Beachtung muss der Abnahme der Lernmotivation im Verlauf der Schullaufbahn (Freiberger & Spinath, 2014; Gottfried et al., 2001) und im Vergleich zur letzten Dekade (Spinath et al., 2016) gewidmet werden. Da die Motivation der Schülerinnen und Schüler in engem Zusammenhang mit der Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrkraft steht (Helmke, 2015; Kunter et al., 2011), möchten wir in unserem Projekt bei der Förderung motivationsunterstützenden Handelns der Lehrpersonen ansetzen. Dazu soll im Projekt DiAmant M ein videobasiertes Trainingsprogramm konzipiert und validiert werden, um v.a. angehende Lehrpersonen eine erleichterte Verknüpfung zwischen dem praktischen Lehrerhandeln und den dahinterliegenden Theorien zu ermöglichen.

Theoretischer Hintergrund

Lehrende müssen auf der Grundlage professionellen Wissens relevante Situationen im komplexen Unterrichtsgeschehen wahrnehmen, beschreiben und erklären können. Ziel dabei ist, Vorhersagen für künftige Entscheidungen treffen bzw. den aktuellen Unterricht adaptieren zu können (Seidel et al., 2010; Sherin & van Es, 2008). Dieser Prozess der Professionellen Unterrichtswahrnehmung bildet ein zentrales Element für das pädagogische Handeln (Schäfer & Seidel, 2015).  Der spezielle Fokus der Professionellen Unterrichtswahrnehmung liegt im Projekt Diamant M auf den Bereichen Motivation und Motivierung. Zielgerichtetes Platzieren motivationsfördernder Maßnahmen erfordert neben dem professionellen Wissen auch die Fähigkeit, die Motivation der Schülerinnen und Schüler wahrzunehmen und kognitiv zu verarbeiten, um adäquat und flexibel im Unterricht reagieren zu können. Eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Thematik bereits im Studium ermöglicht die Förderung der professionellen Wahrnehmung bei Lehramtsstudierenden. Im Forschungsprojekt DiAmant M soll daher das bestehende Video-Tool ViviAn („Videovignetten zur Analyse von Unterrichtsprozessen“) an der Universität Koblenz ∙ Landau durch die Entwicklung eines videobasierten Trainingsprogramms zur Analyse und Förderung der Professionellen Unterrichtswahrnehmung im Bereich der Motivation erweitert werden. Damit kann auch der Forderung der Studierenden nach einem hohen Praxis- und Anwendungsbezug in der universitären Lehre begegnet werden (Bergau et al., 2012; Hoppe-Graff, 2009).

Forschungsfragen

Das Ziel im Projekt DiAmant M ist die Entwicklung und Validierung des videobasierten Trainingsprogramms zur Förderung der Professionellen Unterrichtswahrnehmung hinsichtlich der Motivation.

Die zentrale Fragestellung geht der systematischen Überprüfung der Validität und Reliabilität des Instruments nach:

1. Stellt das Instrument ein geeignetes Messverfahren dar, um

a) die Ausprägung der Professionellen Unterrichtswahrnehmung von Novizinnen und Novizen sowie Expertinnen und Experten im Hinblick auf motivationsunterstützenden Unterricht abzubilden?

b) die erwarteten Unterschiede bezüglich der Professionellen Unterrichtswahrnehmung zwischen Novizinnen und Novizen im Vergleich zu Expertinnen und Experten sichtbar zu machen?

c) die erwartete Entwicklung in der Ausprägung der Professionellen Unterrichtswahrnehmung von Lehramtsstudierenden zu Beginn des Studiums im Vergleich zum Ende des Studiums aufzuzeigen?

2. Kann die Professionelle Unterrichtswahrnehmung von Novizinnen und Novizen sowie Expertinnen und Experten hinsichtlich der Motivation durch den Einsatz des videobasierten Trainingsprogramms gefördert werden?

Methode

Um ein videobasiertes Trainingsprogramm mit einer großen Varianz an motivationsförderlichen Vignetten zu generieren, ist die Videografie von ca. acht Unterrichtseinheiten in zwei Klassen im Sekundarschulbereich geplant. Dabei sollen bei der Planung der Unterrichtseinheiten motivationsrelevante Aspekte wie sie z.B. im Target-Modell (Ames, 1992), bei Rakoczy (2008) und im IBAS-Modell (Drexler et al., eingereicht) explizit beschrieben worden sind, berücksichtigt werden.

Da es sich bei der Motivation aus Sicht der Beobachterinnen und Beobachter oder Lehrerinnen und Lehrer um ein hoch-inferentes Konstrukt handelt, soll eine Validierung der Videosequenzen durch Schülerinnen- und Schülerurteile erfolgen. Dazu sollen Fragebögen eingesetzt werden, die die Schülerinnen und Schüler mehrmals während und einmal nach dem Unterricht zu ihrer aktuellen Motivation befragen.

Nachdem alle Daten erhoben und das Videomaterial gesichtet wurde, findet eine gezielte Auswahl von geeigneten Situationen statt, die in Übereinstimmung mit den Urteilen der Schülerinnen und Schüler motivationsunterstützende (und motivationshemmende) Unterrichtssequenzen abbilden. Die Videoausschnitte werden als Videovignetten in das universitäre Übungsprogramm integriert und mit Analyseaufträgen ergänzt.  Zur Validierung des Videotools bzw. Instruments ist geplant, Novizinnen und Novizen mit Expertinnen und Experten hinsichtlich ihrer Professionellen Wahrnehmung zu vergleichen. Dazu werden etwa 30 Lehrkräfte sowie 30 Lehramtsstudierende des 2. Semesters und 30 Studierende am Ende ihrer Ausbildung mit dem Videoanalysetool arbeiten.

Implikationen

Bisherige Erfahrungen eines videobasierten Instruments im Einsatz der Lehramtsausbildung zeigen positive Wertschätzungen bei den Studierenden (Seidel et al., 2010). Es ermöglicht, das bisherige Wissen und Können anhand von realistischen Videosequenzen anzuwenden und für das eigene professionelle Handeln nutzen zu können. Perspektivisch soll das entwickelte Programm auch praktizierenden Lehrpersonen zur Verfügung gestellt werden: Zum einen um ihre bisherigen Fähigkeiten hinsichtlich der Professionellen Unterrichtswahrnehmung im Hinblick auf motivationsunterstützenden Unterricht zu analysieren und zum anderen um diese zu fördern.

Literatur

Ames, C. (1992). Classrooms: Goals, structures, and student motivation. Journal of Educational Psychology84, 261–271.

Bergau, M., Mischke, M., & Herfter, C. (2012). Erwartungen von Studierenden an das Lehramtsstudium: Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie mit Lehramtsstudierenden an der Universität Leipzig. Retrieved from nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-151462

Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik39(2), 223–238.

Drexler, K., Praetorius, A.-K., Lenske, G., Janke, S., Nitsche, S., Dickhäuser, O., & Dresel, M. (eingereicht). Das Lernen im Fokus: Zur unterrichtlichen Umsetzung einer Lernzielstruktur.

Freiberger, V., & Spinath, B. (2014). Children’s intrinsic motivation to learn: Does it decline over time and if so, why? In S. H. Landry & C. L. Cooper (Eds.), Wellbeing: A Complete Reference Guide. Wellbeing in children and families (Volume I, pp. 73–88). Oxford, UK: John Wiley & Sons Ltd.

Gottfried, A. E., Fleming, J. S., & Gottfried, A. W. (2001). Continuity of academic intrinsic motivation from childhood through late adolescence: A longitudinal study. Journal of Educational Psychology93(1), 3–13.

Helmke, A. (2015). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität: Diagnose Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (6. Aufl.). Schule weiterentwickeln, Unterricht verbessern : Orientierungsband. Seelze-Velber: Kallmeyer.

Hoppe-Graff, S. (Ed.). (2009). Beiträge zur Professionalisierung der Lehrerbildung: Bd. 1Das Lehramtsstudium an der Universität Leipzig: Voraussetzungen, Erfahrungen und Probleme aus der Sicht von Studierenden und Referendaren. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl.

Kunter, M., Kleickmann, T., Klusmann, U., & Richter, D. (2011). Die Entwicklung professioneller Kompetenz von Lehrkräften. In M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss, & M. Neubrand (Eds.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (pp. 55–68). Münster [u.a.]: Waxmann.

Rakoczy, K. (2008). Motivationsunterstützung im Mathematikunterricht: Unterricht aus der Perspektive von Lernenden und BeobachternPädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie: Vol. 65. Münster [u.a.]: Waxmann.

Schäfer, S., & Seidel, T. (2015). Noticing and reasoning of teaching and learning components by pre-service teachers. Journal for educational research online7(2), 34–58.

Schiefele, U., & Streblow, L. (2006). Motivation aktivieren. In H. Mandl (Ed.), Handbuch Lernstrategien (pp. 232–247). Göttingen [u.a.]: Hogrefe.

Seidel, T., Blomberg, G., & Stürmer, K. (2010). "OBSERVER" - Validierung eines videobasierten Instruments zur Erfassung der professionellen Wahrnehmung von Unterricht: Projekt OBSERVE. In E. Klieme (Ed.), Zeitschrift für Pädagogik : Beiheft: Vol. 56. Kompetenzmodellierung. Zwischenbilanz des DFG-Schwerpunktprogramms und Perspektiven des Forschungsansatzes (pp. 296–306). Weinheim [u.a.]: Beltz.

Sherin, M. G., & van Es, E. A. (2008). Effects of Video Club Participation on Teachers' Professional Vision. Journal of Teacher Education60(1), 20–37.

Spinath, B. (2005). Motivation als Kompetenz: Wie wird Motivation lehr- und lernbar? In R. Vollmeyer & J. Brunstein (Eds.), Motivationspsychologie und ihre Anwendung (1st ed., pp. 203–219). Stuttgart: Kohlhammer.

Spinath, B., Kriegbaum, K., Stiensmeier-Pelster, J., Schöne, C., & Dickhäuser, O. (2016). Negative Veränderungen von Zielorientierungen über Schülergenerationen hinweg: Ein10-Jahresvergleich der SELLMO. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie30(4), 271–278.

Steinmayr, R., & Spinath, B. (2007). Predicting School Achievement from Motivation and Personality. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie21(3/4), 207–216.